„Wir waren dem Wahnsinn nah“     Vortrag von Christian Bormann, Universität Bonn
Siebold-Museum

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„Wir waren dem Wahnsinn nah“ Vortrag von Christian Bormann, Universität Bonn

aus den Tagebuchaufzeichnungen eines deutschen Offiziers über das Leben als japa

Mit der Kapitulation der deutschen Musterkolonie Kiautschou im November 1914 gingen mehr als 4600 Soldaten, die für den deutschen Traum vom „Platz an der Sonne“ gekämpft hatten, in die japanische Internierung. Unter diesen Kriegsgefangenen befand sich auch der Kommandeur des deutschen Ostasiatischen Marine Detachements Paul Kuhlo (1866-1943), der maßgeblich in die Kämpfe um das deutsche Pachtgebiet ab September 1914 involviert war.

 

Nach verschiedenen Kommandos und ersten Erfahrungen in China als Adjutant und Dolmetscheroffizier in der Ostasiatischen Besatzungsbrigade bzw. im Ostasiatischen Detachement (1905-1908) wurde der spätere Oberst Paul Kuhlo 1912 erneut nach China versetzt. Dort befehligte er als Kommandeur das Ostasiatische Marine Detachement, erlebte die Kämpfe um das deutsche Pachtgebiet und wurde nach der anschließenden Kapitulation des Gouverneurs Meyer-Waldeck im November 1914 als japanischer Kriegsgefangener zunächst im Tempellager Hongan-ji in Tôkyô-Asakusa und ab September 1915 in Narashino interniert.

 

Während seiner Zeit als Kriegsgefangener verfasste Kuhlo mehrere Briefe an seine Familie und schrieb auch ein Tagebuch, welches heute Aufschluss über das Leben der Internierten in diesen beiden japanischen Kriegsgefangenenlagern gibt. In diesen unveröffentlichten Niederschriften beschreibt Kuhlo die alltäglichen Probleme, Sorgen und Nöte seiner Mitgefangenen, die Tücken des Alltags und den Versuch, sich der monotonen Eintönigkeit durch verschiedene Aktivitäten zu entziehen. Denn neben dem allgemeinen Gefühl von Hilflosigkeit und Heimweh war die „Stacheldrahtkrankheit“ das größte Problem der Gefangenen. Linderung versprachen sogenannte „Liebesgaben“, mit denen die Soldaten von verschiedenen Seiten unterstützt wurden, um ihnen das Leben als Kriegsgefangene zu erleichtern.

 

Besonders das in der Literatur zumeist positiv dargestellte Kriegsgefangenenlager Bandô vermittelt das Bild einer erträglichen Gefangenschaft und verleitet zu einer Pauschalisierung der allgemeinen Situation der Kriegsgefangenen in allen anderen japanischen Lagern. Am Beispiel der Vita des Lagerältesten Oberst Kuhlo und seiner Erlebnisse soll daher der Vortrag einen Überblick über das Leben in den Lagern in Tôkyô-Asakusa und Narashino vermitteln und dabei aufzeigen, unter welchen schwierigen Bedingungen die Internierten lebten und wie sie sich mit ihrer Situation zu arrangieren versuchten.